Donnerstag, 13. September 2012

Erinnerung an die Ermordung Ernst Thälmanns vor 68 Jahren

Zum Gedenken an die Ermordung Ernst Thälmanns vor 68 Jahren fand am 18. August 2012, am Jahrestag der Ermordung, am historischen Ort des Krematoriumshofs des KZ Buchenwald unter dem Motto „Erinnern-Gedenken-Mahnen“ eine gemeinsame Veranstaltung des Thüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten und der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora statt. Wir dokumentieren die Rede von Ellen Brombacher, Bundessprecherin der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE, mit ihrer freundlichen Genehmigung.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

am 26. Januar 1933 – fünf Tage, bevor die deutschen Faschisten beginnen konnten, staatlich sanktioniert zu morden – schrieb Ernst Thälmann in der Roten Fahne: „Wir müssen [den] Massen in geduldiger Aufklärungsarbeit die wirkliche Rolle der Hitlerpartei im Dienste des Finanzkapitals, der Trustkönige, Großagrarier, der Offiziere und Fürsten aufzeigen. Wir müssen den Massen klarmachen, dass die Notverordnungen der Papen und Schleicher, dass die volksfeindliche Politik ... dass alle Anschläge der bürgerlichen Diktatur vollkommen gestützt sind, auf die Hilfe der NSDAP ... Aber nicht nur den Anhängern Hitlers, sondern auch den aktiven Soldaten der SA und der SS muss die revolutionäre Arbeiterschaft zum Bewusstsein bringen, für wen und für was sie aufmarschiert.“
Gut einen Monat später, am 3. März 1933, wurde Ernst Thälmann verhaftet. Zunächst einmal, so beschreibt er es Anfang 1944 in seiner „Antwort auf Briefe eines Mithäftlings“, sei er gut behandelt worden. Aber fortgesetzt seien die berüchtigten Landjägerkommandos an seine Zellentür gekommen, mit der Drohung, dass sie ihn eines Tages abholen würden, wo dann seine letzte Stunde geschlagen haben würde. Im Januar 1934 wurde er in die Gestapo-Zentrale in der Berliner Prinz-Albert-Straße eingeliefert. Als ein Gestapobeamter begann, Thälmann mit der Nilpferdpeitsche zu traktieren, da hatten sie ihm schon vier Zähne ausgeschlagen. Er schreibt über stundenlange unendliche Qualen, über den Wunsch, den Torturen durch einen Sprung aus dem Fenster ein Ende zu bereiten, berichtet über die mitleidigen Blicke von Mitgefangenen, als er, der Gefolterte, in seine sich im Keller befindliche Zelle zurückgebracht wurde. Weder die Folterer noch die elf Haftjahre konnten Ernst Thälmann brechen. 


 
Die Massen, in deren Aufklärung er seine Hoffnungen gesetzt hatte, folgten den Nazibarbaren bis fünf Minuten nach zwölf. Und die Soldaten der SA und SS begingen unbeschreibliche, zigmillionenfache Verbrechen, ohne dass ihnen zu Bewusstsein gebracht wurde, für wen und für was sie mörderisch aufmarschierten. Irrte Thälmann im Grundlegendsten – in den Menschen? Selbstverständlich war auch er nicht frei von Illusionen. Mag sein, er hatte die Totalität der zerstörerischen Kraft faschistischer Ideologie nicht vollends erkannt. So, wie zumindest kein normaler Mensch sich Auschwitz hätte vorstellen können. Bleibt Auschwitz nicht bis heute unvorstellbar? In einer Hinsicht war Thälmann vollkommen und unbedingt illusionslos, in der Frage der Einschätzung imperialistischer, antisozialistischer Politik. 1926 schrieb er: „Die unversöhnliche Feindschaft der kapitalistischen Länder gegenüber dem ersten proletarischen Staat der Welt hat sich auch nach Beendigung der Intervention und Blockade überhaupt nicht geändert. Sie hat lediglich eine neue, versteckte Form angenommen, und wenn die bürgerlichen Staaten jetzt notgedrungen Beziehungen zur UdSSR anknüpfen und Vereinbarungen mit ihr abschließen, so wird die Vorbereitung eines Krieges gegen die UdSSR nichtsdestoweniger unaufhörlich fortgesetzt.“ Welche Weitsicht! Sie fehlte all denjenigen, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre annahmen, wenn man Feindbilder abhängt, käme der Feind gleich mit abhanden.
Thälmann setzte auf die Sowjetunion. Zu Unrecht, weil es in ihr Unrecht gab? Ja, dieses Riesenreich verkörperte einen schmerzhaften Widerspruch zwischen schlimmen Zügen von Rohheit, welche die sich unter Stalin etablierende Sowjet-Macht wesentlich prägten und einer neuen, menschlichen Kultur, die sich zugleich entwickelte und Solidarität sowie unbeschreibliche Opferbereitschaft mit hervorbrachte. Eine Opferbereitschaft, die – wie Thälmann es am Tage des Überfalls auf die Sowjetunion voraussagte – dem Faschismus maßgeblich das Genick brach. Irrte Thälmann des Weiteren, als er formulierte: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg.“? War es eine Fehleinschätzung, auf der Tagung der Mitglieder des ZK am 7. Februar 1933 zu warnen: „Jeder Zweifel darüber, dass diese Regierung vor irgendwelchen balkanischen Methoden des äußersten Terrors zurückschrecken würde, wäre sehr gefährlich. ... nicht nur Parteiverbot, nicht nur faschistische Klassenjustiz, sondern alle Formen des faschistischen Terrors; darüber hinaus: Masseninternierung von Kommunisten in Konzentrationslagern, Lynchjustiz und Meuchelmorde ... – das alles gehört mit zu den Waffen, denen sich die offene faschistische Diktatur uns gegenüber bedienen wird.“ Diese vorerst letzte Tagung des ZK fand in Ziegenhals bei Berlin statt. In der DDR eine Gedenkstätte des antifaschistischen Widerstands, existiert diese heute nicht mehr am Originalort – weil sie nicht mehr gewollt ist. Und doch wird es nie gelingen, dass Thälmann und seine Genossinnen und Genossen in Vergessenheit geraten werden.

Mahnung und Verpflichtung

Mehr als fünfzig Millionen Tote waren in Europa zu beklagen, als der Faschismus zerschlagen war. Alle diesbezüglichen grundsätzlichen Einschätzungen Thälmanns hatten sich als realistisch erwiesen. Heute streiten Linke nicht zuletzt darüber, welche Fehler die KPD unter Thälmann begangen habe. Und dieser Streit ist unumgänglich, weil er auch unsere Gegenwart betrifft. Wie gehen wir mit der Welt von heute um? Welche Ziele stellen wir uns? Welche Bündnispartner suchen wir? Was ist heute, unter den Bedingungen einer sich stetig zuspitzenden Krise, politisch realistisch und was illusionär? Wir leben in einer Welt, in welcher der Profitmechanismus – unmittelbar oder mittelbar – wie vielleicht nie zuvor täglich mehr in das Leben der Menschen eingreift: Soziale Kälte breitet sich aus, der Hunger tötet, die Klimakatastrophen reißen nicht ab und die Kriege sind wieder zum alltäglichen Mittel der Politik geworden. Es droht ein Weltkrieg, womöglich ein atomarer. Die imperialistischen Hauptländer haben sich selbst zur internationalen Gemeinschaft erklärt und bomben und schießen – hier im Einklang mit dem UN-Sicherheitsrat und dort auch ohne dessen Zustimmung. Sie tun dies, wenn ihre Interessenlage das verlangt und nennen es humanitäre Intervention. Und da, wo kein Öl oder strategisches Terrain zu holen ist, ist auch der Humanismus eher nicht von Belang.
Wir alle wissen um Gegentendenzen: Sei es in Lateinamerika oder andernorts. Heute gegen den Weltmachtanspruch der USA und der NATO zu stehen, wie dies z. B. China oder Russland tun, ist schon viel. Antifaschistinnen und Antifaschisten sollten immer Realisten sein. Zuviel haben fortschrittliche Menschen schon für Fehleinschätzungen und Illusionen gezahlt. Es geht auch heute, und vielleicht mehr denn je, um die Frage: Sozialismus oder Barbarei. Und doch steht der Sozialismus hier nicht vor der Tür, so wie Sowjetdeutschland in den dreißiger Jahren nicht vor der Tür stand. Aus der Geschichte zu lernen, heißt, sich auch daran zu erinnern, und sich also im Alltag auf das Machbare zu konzentrieren, ohne zu vergessen, dass letztlich eine andere, eine sozialistische Welt nötig ist.
Wo immer unser konkreter Wirkungskreis ist, sollten wir dazu beitragen, dass die Friedensbewegung an Einfluss gewinnt, dass die Kämpfe gegen Sozialabbau intensiviert werden, dass die Antiatomkraftbewegung ebenso an Fahrt gewinnt, wie die Bürgerbewegungen gegen den, sich in immer größerem Tempo vollziehenden Abbau der noch verbliebenen Reste bürgerlicher Demokratie. Dass wir uns, wo immer wir uns befinden, gegen den seuchenartig grassierenden Antikommunismus wenden, versteht sich beinahe von selbst. Wir sind solidarisch mit den Unterdrückten dieser Erde und daher besonders mit Migrantinnen, Migranten und Flüchtlingen in diesem Land. Und: wir sind konsequente Antifaschisten. […]
Wir fühlen uns zur antifaschistischen Aktion und zur politischen Auseinandersetzung mit den damaligen wie heutigen Wurzeln des Faschismus verpflichtet. Wir tun alles, damit die Hintergründe zur Sprache kommen, vor denen alte und neue Nazis ihren Einfluss erweitern und vertiefen: soziale Verwerfungen, die „Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch“ und ein in alle Poren der Gesellschaft eindringender Geschichtsrevisionismus.

Wofür sie Thälmann hassten

Gerade auch in der Entlarvung der Wurzeln des Faschismus ist Thälmann uns bleibendes und außerordentliches Vorbild. Niemals verschwieg er dessen Klassencharakter. So erklärte er am 3. März 1932 in Frankfurt am Main: „Den Namen ‚Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei‘ müssen wir untersuchen. Am Montag sprach ich in Düsseldorf in den Maschinenbauhallen, wo vor einigen Wochen Hitler gesprochen hat. Bei Hitler erschienen die Gastgeber aus den großkapitalistischen Kreisen, aus Schwerindustrie und Bergbau in 700 Limousinen. Glaubt ihr, Genossen, dass hier in unserer Versammlung die Direktoren oder die Inhaber der kapitalistischen Industrie erscheinen würden, um mich zu begrüßen? Haltet ihr es für möglich, dass irgendein Frankfurter Industrieller es wagen könnte, den Genossen Thälmann für heute Abend zu einem Abendbrot einzuladen?“
Diese Klarheit der Gedanken und damit der Sprache war es, wofür sie Thälmann hassten, ihn für zwölf Jahre in den Kerker warfen, folterten und schließlich, als ihr Ende sich als unabwendbar erwies, ihn hier im Konzentrationslager Buchenwald ermordeten. Und mit ihm töteten die Faschisten in den letzten Monaten und Wochen ihrer Schreckensherrschaft Tausende weiterer deutscher Antifaschistinnen und Antifaschisten, die bis dahin die Nacht des Faschismus überlebt hatten. Sie sollten einem besseren Deutschland nicht mehr zur Verfügung stehen. Wenn wir heute Ernst Thälmanns gedenken, dann sind sie alle mit in unseren Gedanken und Gefühlen. Die Zeiten sind andere geworden. Die Maßstäbe, die sie an sich legten, sollten die unsrigen bleiben.

Weimar, 18. August 2012