Karl Heinz Roth beleuchtete
am 18. August 2012 im Rahmen der Gedenkfeier zum Todestage Ernst Thälmanns in
der Gedenkstätte Ernst Thälmann Perspektiven in der Euro-Krise aus historischer
Sicht.
„Deutsche Härte“ nennt
Karl Heinz Roth das, was Griechenland im Moment zu spüren bekommt: Spardiktat,
Niedriglohnpolitik, sozialer Kahlschlag, Zwangsverwaltung durch EU, IWF und EZB.
Was in Deutschland als „alternativloses“ Wirtschaftsprogramm verkauft wird,
steht in einer unseligen Tradition: Der deutschen Okkupation
während des zweiten Weltkrieges. Damals sah sich Griechenland einer brutalen
und rücksichtslosen Ausplünderungspolitik der deutschen Wehrmacht ausgesetzt,
die hunderttausende Griechen das Leben kostete. Die Bilanz: Systematische
Plünderung griechischer Bodenschätze und Wirtschaftsgüter im Wert von 750
Millionen Reichsmark; Abschöpfung des griechischen Außenhandels und offene
Rechnungen über 125 Millionen Reichsmark; Raub von Finanzwerten über 1,75
Milliarden Reichsmark; nicht zu ermittelnde Schäden beim Abzug der deutschen
Truppen, deren Politik der „verbrannten Erde“ die griechische Flotte und weite
Teile der Infrastruktur des Landes zum Opfer fielen. Dazu: 1600 niedergebrannte
Ortschaften, deren Bevölkerung massakriert.
Nach dem Krieg wurde
Deutschland zur Zahlung von Reparationen verpflichtet. 7,1 Milliarden Dollar
auf der Preisbasis von 1938 sollten die angerichteten Schäden beseitigen. Aber
die Gelder sind – bis auf einen Bruchteil – nie geflossen. Weder unter der
Herrschaft des Marshallplans, noch in der Zeit der Militärdiktatur, noch unter
der PASOK-Regierung wurden die Reparationsleistungen von Griechenland
gefordert. Warum? Das ist schwer aufzuklären, meint Karl Heinz Roth. Sicher
aber ist: Die Zahlungen, 1946 völkerrechtlich vereinbart, stehen noch heute
aus.
Rechnet man die Summe
nach heutigen Maßstäben um, so heißt das, das Deutschland Griechenland noch
immer 79 Milliarden Euro schuldet. Geld, das Griechenland, dessen Wirtschaft
und Gesellschaft nach fünf Jahren Wirtschaftskrise am Rande des Abgrunds
stehen, mehr als nötig braucht. Geld, das, so Roth, jene zu zahlen hätten, die
vor über 60 Jahren von der Ausplünderung Griechenlands profitierten: Die
Bundesbank (als Nachfolgerin der Reichsbank), der Bundesverband der Deutschen
Industrie, der Bundesverband Groß- und Außenhandel, ThyssenKrupp, Rheinmetall,
Siemens, die großen Baukonzerne, die Deutsche Bank, die Tabak- und
Aluminium-Industrie.
Deren Schuld müsse
beglichen werden und umgewandelt in ein Rettungsprogramm für Griechenland, fordert Roth. Die unabdingbaren Bestandteile: Ein Schuldenmoratorium und Überführung der
Schulden in einen europäischen Tilgungsfonds; Euro-Anleihen der EZB und
Demokratisierung der Zentralbank; Reichensteuer und Vermögensabgabe;
Egalisierung der Löhne und Lohnstückkosten auf hohem Niveau in ganz Europa;
Demokratisierung der EU. Und nicht zuletzt: Ein Konjunkturprogramm im Umfang
der deutschen Reparationsschulden an Griechenland, das, soll es erfolgreich sein,
60-80 Milliarden Euro umfassen müsste.
Ein ambitioniertes
Programm, und eines, das von unten erkämpft werden muss, meint Roth. Ohne
europäische Solidarität der Arbeiter- und Mittelklassen sei das gegen den
Widerstand der – vor allem deutschen – Eliten kaum zu erreichen. Gelinge das aber
nicht, drohe ein Rückfall in nationalstaatliches Denken, wie in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im deutschen Sozialrassismus („Verkauft doch eure
Inseln, ihr Pleite-Griechen!“) und in den nationalistisch tönenden Antworten
aus den Krisenländern kündige sich dieses Denken bereits an. Das spricht für
eine pessimistische Perspektive. Aber Karl Heinz Roth will es nicht gelten
lassen, wenn angebliche Ausweglosigkeit vorgeschoben wird, um eigenes
Nichtstun zu verdecken. „Ein entschiedenes Reformprogramm mit sozialistischer
Perspektive, das ist meine Hoffnung“, so Roth. Ein Programm, das nicht nur
wegen der gegenwärtigen Krise eine Notwendigkeit ist, sondern auch wegen der
ungesühnten Verbrechen des deutschen Kapitals in Griechenland.