„Celtic und St. Pauli – die Wahl der Rebellen“ wie man so sagt, in Anerkennung der Verbindungen zwischen den zwei Fan-Gruppen, die auf einem gemeinsamen radikalen und progressiven Ethos basiert. Seit zehn Jahren kommen Celtic-Anhänger jedes Jahr im Februar nach Hamburg, um hier ein Wochenende zu verbringen, in der Musikhalle „Knust“ zu feiern und ein St. Pauli-Spiel im Millerntor-Stadion zu erleben. Normalerweise machen sich etwa 500 Supporter auf die Reise nach Hamburg, vor allem aus Großbritannien und Irland, aber auch aus der Schweiz, Belgien, Griechenland und anderswo her. Beide Vereine genießen Kult-Status unter ihrem weltweiten Anhang. Davon sind wir zehn aus unserem Club in West London – die „HayesBhoys“ – ein Teil.
Nicht nur Fußball, Bier und Musik…
Wir kamen am Freitag an und als der Tag sich in Abend und dann in Nacht verwandelte, begannen die Bars „Jolly Roger“, „Shebeen“ und „St. Pauli Eck“, sich mit Fans aller Nationalitäten zu füllen. Alte Freunde wurden begrüßt und neue Freundschaften geschlossen. Wie das Astra-Bier floss, so auch die Gespräche – in einer Mischung aus Englisch und Deutsch. Aber das Fehlen einer gemeinsamen Sprache war wegen der Gemeinsamkeiten der Fans untereinander nie ein Hindernis für die Kommunikation.
Am Samstagnachmittag haben wir ein bisschen Sightseeing gemacht – eine Bootsfahrt rund um den Hafen und schließlich um 16:00 Uhr die Partie Celtic gegen Motherwell aus der „Scottish Premier League“ live im „Knust“ und anderswo auf St. Pauli im TV gesehen. Celtic siegte schließlich 1:0 in einem guten, engen umkämpften Spiel. So waren wir alle in guter Stimmung für die Party ein paar Stunden später, mit Musik von „De Drangdüwels“ aus Holstein, „Glasnevin“ aus Glasgow und „The Bible Code Sundays“ aus unserem eigenen Celtic Supporters Club in Hayes.
Als der Sonntag dämmerte, war es ganz einfach zu erkennen, wer nach dem Konzert im „Knust“ gleich ins Bett gegangen war und wer auf Partys in den Bars bis in die frühen Morgenstunden weiter gefeiert und deswegen sichtlich einen Riesenkater hatte. Das Wetter war gut – sonnig und sehr warm für Hamburg im Februar; leider war das Spiel zwischen St. Pauli und Eintracht Braunschweig ein enttäuschendes 0:0 Unentschieden. Aber die Enttäuschung hielt nicht lange und es ging zurück zum „Knust“ zur Abschieds-Party.
Ein tolles Wochenende! Wir bedanken uns bei Sven Brux und seinen Kollegen vom Club und vom Fanladen für die Organisation der Veranstaltungen, der Vermittlung von Eintrittskarten für die vielen auswärtigen Besucher und für den herzlichen Empfang.
…sondern auch Geschichte und Politik.
Allerdings: Für einige von uns war das Wochenende mehr als eine „nonstop-Party“. Im Oktober letzten Jahres fand eine Veranstaltung in London zum Gedenken an die „Cable Street Schlacht“ vor 75 Jahren statt. Die Londoner haben damals vereint den Marsch von Mosleys Schwarzhemden (die englischen Nazis) durch ihre Straßen verhindert. Dort haben wir Reinhardt aus Hamburg kennengelernt. Auf Einladung Reinhardts besuchten wir am Samstagmorgen die „Gedenkstätte Ernst Thälmann“ in Hamburg-Eppendorf – eine Gedenkstätte gewidmet dem Vorkriegsvorsitzenden der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands). Dies erwies sich als ein faszinierendes Erlebnis. Im Vereinigten Königreich, ebenso wie in Deutschland, ist die Rolle der Linken im allgemeinen, und insbesondere der KPD und ihr Widerstand gegen den Aufstieg der Nazis aus der Geschichte weitgehend wegretuschiert worden. So war es gut zu erleben, dass die Gedenkstätte Ernst Thälmann eine alternative Perspektive auf diese Zeitepoche zeigt. Hein, der Vorsitzende der Gedenkstätte, gab uns eine vollständige Führung und überreichte uns Ernst Thälmann-Souvenir-T-Shirts. Mein T-Shirt trug ich später an diesem Tag im „Knust“ und obwohl ziemlich viele Celtic-Fans sich dafür interessierten, über Ernst Thälmann zu hören, so war es doch deprimierend zu erfahren, dass einige St. Pauli-Fans von Ernst Thälmann noch nie gehört hatten, obwohl sie in Hamburg geboren und aufgewachsen sind.
Die meisten Celtic- Fans verließen Hamburg am Sonntag und am Montag. Ich blieb noch für ein paar Tage. Am Montagabend ging ich mit Reinhardt zu einer Ausstellung im „Centro Sociale“ (in der Nähe des Knust) mit dem Titel „Umkämpfte Vergangenheit – Erinnerungen an den Spanischen Bürgerkrieg und den Franquismus“. Das Thema war die Bedeutung der Wahrung und der Schutz der historischen Erinnerungen derjenigen, die gegen Franco kämpften und unter der Macht des Faschismus in Spanien litten. Ich freute mich darüber, die Gelegenheit zu haben, zur Eröffnungsveranstaltung zu gehen und später mit den Organisatoren zu reden und ein paar Biere zu trinken.
Schließlich, am Dienstag, habe ich die Reise zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme unternommen. Die meisten Menschen im Vereinigten Königreich haben nur von anderen Konzentrationslagern wie zum Beispiel Dachau und Buchenwald gehört. Das KZ Neuengamme ist aber weniger bekannt. Das Lager liegt etwa 20 km südöstlich vom Hamburger Zentrum, in einer offenen, sumpfigen Landschaft, die am Tag meines Besuches in einen kalten grauen Nebel gehüllt war. Das KZ-Lager selbst war fast menschenleer, ein Beitrag zu einer Atmosphäre, so deprimierend wie die Umgebung. Die Themen, die mich am meisten erschütterten, waren, erstens, die Hindernisse, die die Überlebenden überwinden mussten, um die Nachkriegsbehörden zu nötigen, das Lager als Denkmal zu konservieren. Und zweitens das Ausmaß, zu dem das Lager als Reservoir für Sklavenarbeit während des Krieges diente. Jeder Bauernhof, jedes kleine Geschäft, jedes Werk in der Region Hamburg erhielt seine Zuteilung von Häftlingen aus dem KZ Neuengamme. Diese Tatsache macht es wirklich unmöglich, das angebliche Nichtwissen von Unterstützern des NS-Regimes über die Existenz solcher Orte zu glauben.
Die politischen und historischen Teile unseres Besuches waren alle sehr interessant und auf ihre Weise so lohnend wie die Geselligkeit. Mein Dank geht an Reinhardt für seine Unterstützung. An die alte berühmte Celtic Hymne sei erinnert: „Wenn man die Geschichte kennt…“, und das ist die Botschaft der Thälmann-Gedenkstätte, der Spanischen Bürgerkriegs-Ausstellung im Centro Sociale, und auch von der Gedenkstätte KZ Neuengamme. Jeder auf seine Weise. Es ist sehr verdienstvoll von Organisationen wie den genannten, dass eine solche Botschaft immer noch hinaus geht, trotz der amtlichen Gleichgültigkeit und Ablehnung. Die Bedeutung der Erhaltung der Erinnerungen an die Vergangenheit der Linken und der Widerstand gegen Versuche des Establishments, die Geschichte umzuschreiben, ist heute so groß wie noch nie.